Pokern mit Strategie

Dienstag, 20. Januar 2009

Running in circles

Irgendwie ist dieser Tag sehr seltsam, auf eine gewisse Weise leer. Nichts besonderes geschieht und man jagt die Sekunden, Minuten und Stunden vor sich her. Ziellos, planlos, antriebslos. Man schaut hier und dort, tut Dinge nur um des puren Tuns Willen, aus Gewohnheit, aus Faulheit, damit man sich keine großen Gedanken machen muß und dann passiert es. Man stößt auf etwas und dieses Etwas bringt Bewegung in einen. Wie ein Stein, der in die See der Leere in einem hineinfällt und noch lange nachdem er bereits versunken ist seine Spuren hinterläßt - Wellenkreise, die in sich selbst ruhig sind, doch die gerade noch so stille See in Aufruhr versetzen.
Solch ein Stein fiel Heute auch in mich. Er fiel in die Wasser meiner Leere und zerbrach, als er am Grunde aufkam, ein gut verschlossenes, aber zerbrechliches Gefäß, dessen Inhalt zur Oberfläche stieg und nun dort auf den Wellenkreisen tanzt, so daß er nicht zu übersehen ist.

Ich mußte an meine Zivi-Zeit denken. Damals mit 19, frisch dem behüteten Gymnasiastenleben entsprungen, war dies der erste echte Kontakt mit der echten Welt. Ich bewarb mich um eine Stelle bei einem Krankenhaus in direkter Nähe. Nach einem kurzen Gespräch in der Personalabteilung wurde ich in die Neurologie eingeteilt. Ein entspannter Job. Hauptsächlich Akten verwalten, Post erledigen, diktierte Befunde zur Schreibstube tragen und das geschriebene Wort zurückbringen. Dazu noch der Ausblick auf Patientenkontakte der angenehmen Art. Keine Operationen, kein Blut, kein Waschen und aufs Klo helfen, höchstens mal einen Patienten von der Station holen oder dorthin bringen und mal ein freundliches Wort für diejenigen, welche alleine im Wartebereich saßen (was selten vorkam, denn als neurologische Fachabteilung mit Untersuchungen und Gutachten für halb NRW war eben jener Wartebereich eigentlich immer gut besucht). Kurz gesagt: Ich freute mich auf lockere 13 Monate Dienst fürs Vaterland. Wie dumm ich war, denn auch wenn mich die Schulzeit alles mögliche über Kurvendiskussionen, literarische Epochen, Kettenreaktionen usw. gelehrt hatte, so war eines auf der Strecke geblieben: Der Umgang mit der geifbaren Welt, die täglich um uns herum ist, die Menschen, die in ihr leben, und ihre Schicksale, die dort in jener Neurologie so wie in jedem Krankenhaus der Welt nicht ihre Schicksale bleiben, sondern zu den Schicksalen aller werden, die dort arbeiten, da sie es hautnah miterleben.

Diesen Schicksalen konnte auch ich nicht entgehen. Und zwei von ihnen, das positivste und das negativste, sind nun an die Oberfläche getrieben, als der Stein das Gefäß zerbrach, in welchem ich sie sorgsam verstaut hatte, teils um sie zu vergessen, teils um sie als wertvolle Erfahrung für mein Leben zu konservieren. Und diese Erfahrungen möchte ich nun, da sie befreit wurden, hier niederschreiben, doch stellt sich die Frage, wie man beginnen soll? Welche Reihenfolge wähle ich? Das Schlimme zuerst, damit das Gute die Sache versöhnt, oder doch erst das Gute und so das Schlimme vielleicht noch schlimmer scheinen lassen?
Wie würdet ihr das entscheiden? Ich habe es wie folgt getan: Ich habe es dem Zufall überlassen und eine Münze geworfen.

Da war dieser Junge. "Junge", klingt vielleicht zu schwach, immerhin war er bereits 15 oder 16. Ich weiß es nicht mehr genau, aber auf dieses eine Jahr kommt es nicht an.
Als ich ihn das erste Mal sah, war es schon kurz vor Feierabend und so saßen er und seine Eltern allein im Wartebereich - die Eltern auf den Stühlen und er im Rollstuhl. Da ich den Grund seines Daseins nicht kannte und er sehr fröhlich wirkte (er lächelte und scherzte mit seinen Eltern, wie er es immer tat, wenn ich ihn wieder bei uns sah), nahm ich nichts schwerwiegendes an. Vermutlich irgendein schlimmer Bruch, bei dem die Muskeln und Nerven irgendwie gelitten hatten, so daß er vorerst im Rollstuhl sitzen muß. So etwas hatte ich bei uns schon ein- oder zweimal vorher gesehen. Weiter kamen meine Gedanken jedoch nicht, da man zum einen schon wieder nach mir rief und zum anderen der Arzt in den Wartebreich kam und den Jungen und seine Eltern hineinbat.
Es dauerte einige Wochen, ehe ich ihn wieder sah. Die Situation war annähernd die Gleiche wie beim ersten Mal: Später Nachmittag, der Junge in Begleitung seiner Eltern und fröhlich wie zuvor. Wieder dachte ich mir nichts Besonderes.
Als ich dann aber wieder einige Wochen später sah, wurde ich stutzig. Er saß nach wie vor im Rollstuhl, so daß ich von meiner Theorie mit den Nachwirkungen eines schweren Bruchs abkam und beschloß nachzufragen. Wie es der Zufall wollte, mußte ich direkt nachdem der Junge seinen Termin beim Arzt hinter sich hatte, eben zu jenem Herrn Doktor und nutzte die Gelegenheit nachzufragen. Die Antwort, die ich erhielt, schockierte mich. Der Junge litt an Muskelschwund, welcher in früher Kindheit ausgebrochen und unaufhaltsam war, so daß er in (nach normalen Maßstäben gerechnet) recht früh sein Leben beenden würde. Das, as mich jedoch noch mehr schockierte (damals, denn Heute macht es mir Mut und lehrt mich auch immer wieder ein wenig Demut): Er wußte es. Er wußte über alles genau Bescheid. Er wußte jede Einzelheit - und er war immer fröhlich, ganz gleich ob es ihm an einem Tag besser oder schlechter ging. Er war fröhlich.
Das befremdete mich gewaltig. Ich wußte nicht, was ich von so etwas halten sollte. Doch das änderte sich. Meine gesamte Zivi-Zeit hindurch sah ich ihn in regelmäßigen Abständen wieder und von Mal zu Mal beeindruckte er mich mehr und ich zollte ihm Respekt, denn zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich jemanden getroffen, der sich diese Art von Achtung verdient hat. Gesprochen habe ich mit ihm nie. Er war ja auch nie allein und ich hätte auch gar nicht gewußt, was ich ihm sagen soll, aber dennoch haben wir kommuniziert. Immer, wenn ich ihn sah, lächelte ich ihm zu und er lächelte jedes Mal zurück.

Hmm, der ganze Text ist jetzt schon verflucht lang geworden. Viel länger als es vermutlich jemand lesen mag. ;) Deswegen beende ich das Ganze hier und schiebe das zweite Erlebnis Morgen nach. Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben, wer der Stein war, der die Wellen schlug.

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